Ihr Traum von der Fußballkarriere? Zerbrochen. Ihre Familie? Bedroht, verfolgt, geflohen. Trotzdem stürmte die 22-jährige Francisca R. weiter für den Schutz der Wälder. Bis sie selbst bedroht wird.
19. Februar 2025 | von Christian Neeb
Die Sonne steht schon tief am Horizont über den Bäumen. Aber die Hitze ist immer noch da. Nahe der Schule, der Saum des Waldes liegt ein Stück entfernt, steht der Geländewagen. Staubbedeckt. Schlammverschmiert. Die Motorhaube ist offen, Probleme mit dem Antrieb, mal wieder. Der Weg aus der Stadt, aus Flores am See hinaus in den Nationalpark der Sierra del Lacandón verlangt den bulligen Fahrzeugen alles ab. Der Verschleiß auf den mit Schlaglöchern übersäten Pisten und den Pfaden durch den Wald ist immens. Hinter der Haube beugen sich zwei Köpfe über die Maschine. Ein Großer, graue kurze Haare. Ein Kleiner, die langen schwarzen Haare zu einem Dutt hochgesteckt.
„Hier könnte das Problem liegen“, murmelt Manuel Fajardo, den alle nur Don Meme nennen. Oder Memecito. Die junge Frau an seiner Seite legt den Kopf schief und beginnt mit geschickten Händen die Maschine zu untersuchen.
Arbeiten als Mechanikerin gehören eigentlich nicht zu ihrem Jobprofil – und dann wieder doch. Francisca R. ist Tecnicá der Defensores de la Naturaleza. Doch das bedeutet nicht, dass sie als Technikerin nur die Fahrzeuge reparieren würde. Sie betreut mit technischer Expertise den Schutz des Regenwalds. Die Partnerorganisation von OroVerde setzt hier im Norden Guatemalas, in der Sierra del Lacandòn Tropenwaldschutzprojekte um. Die 22-Jährige ist schon länger dabei. Viele der Mitarbeitenden kommen schon früh mit der Arbeit der Projekte, die in Bonn und Guatemala entstehen, in Kontakt. Am Nachmittag war R. noch bei einem Workshop des Jugendprojekts der Defensores und OroVerde. Dort hatte eine Artistengruppe mit den Jugendlichen Mutmachübungen trainiert. Die Leiterin des Projekts, Gloria Espina, kennt sie schon, seit sie klein ist.
Zerrissene Familien
„Meine Eltern sind aus El Salvador hierhergekommen, als sie noch sehr jung waren“, sagt R. und wischt sich die Hände an der Arbeitshose ab. Nun sind sie aber nicht mehr im Land. Ihr Vater ist vor sieben Jahren in die Vereinigten Staaten geflohen, ihre Mutter folgte ihm zwei Jahre später. Von ihren fünf Geschwistern sind nur noch zwei in Guatemala. Zwei jüngere Brüder, um die sich die junge Frau zuerst selbst kümmern musste. Jetzt leben sie bei ihrer Tante im gleichen Ort, damit sich R. um die Arbeit kümmern kann. Wenn sie über ihre Familie spricht, stehen kurz Tränen in ihren Augen, die sonst immer ein Lächeln umspielt.
Neben der Schule rennen johlend Jugendliche über ein Fußballfeld. Lachend schießen sie sich die Bälle zu. Francisca R. wischt sich Ihren Schmerz aus den Augen. Schmerz über eine auseinandergerissene Familie, die sie mit so vielen Menschen ihres Heimatlandes teilt.
„Vor zwei Jahren habe ich bei den Defensores angefangen als Agroforst-Promoterin. Ich arbeite mit den Erzeugern, kommuniziere mit ihnen und führe Aktivitäten mit ihnen durch“, sagt sie. An einem normalen Arbeitstag fährt sie mit ihrem Motorrad zwischen den Gemeinden der Projekte hin und her.
Tropenwaldschutz auf Rädern
„Ich helfe ihnen bei der täglichen Arbeit – beschneide die Pflanzen oder dünge die Felder. Ich zeige ihnen, wie man organischen Dünger herstellt“, sagt R. Tätig ist sie in zehn Gemeinden. Die meisten kleinen Siedlungen liegen in der Nähe ihres Heimatorts. Die am weitesten entfernte ist etwa anderthalb Stunden entfernt. In den Gemeinden hat sie schon rund die Hälfte der Bevölkerung von Agroforstsystemen überzeugen können. Da es sich um Kleinproduzent*innen handelt, geben die Defensores technische Unterstützung, um den Nutzen der Maßnahme deutlich zu machen. Das erledigen die tecnicás und tecnicós. In Workshops vermitteln sie die Kenntnisse über den späteren Anbau und die Vorgehensweise von der Aussaat bis zur Ernte.
Das Vertrauen in sie ist groß. Besonders in die zierliche junge Frau auf ihrem großen Motorrad. Warum? „Die Wahrheit ist, dass besonders die anderen Frauen sich mir nah fühlen, weil ich eine von ihnen bin. Sie können sich mir nähern und haben Vertrauen.“ Auch von den Männern werde sie respektiert. „Sie interessieren sich dafür, was ich zu sagen habe und was ich ihnen beibringen möchte.“ Aber das ist keine Normalität überall in Guatemala. Noch nicht.
Stürmerin für Frauenrechte
„Die Situation für Frauen und Mädchen ist schwierig“, sagt sie. „Für viele gilt immer noch, dass sie ihr Zuhause nicht verlassen sollen, um Hausfrau zu werden. Das hat hier auch traditionelle Gründe. Zum Glück haben mich meine Eltern immer unterstützt. Sie wollten, dass ich studieren gehe. Das habe ich getan. Und ich will weiter lernen, damit ich es noch weiterbringe.“
Am Rand des Fußballfelds haben sich die Jugendlichen hingehockt. Pause vom Kicken. R. schlendert zu ihnen hinüber. Sie legt den Kop schief, spricht einen von ihnen an. Sie lacht, die Jugendlichen lachen. Als sie zurückkommt, hat sie den Ball in den Händen. Ein paar Schüsse aufs Tor.
Der Schuss hat Kraft. Mit Schwung fliegt der Ball ins Netz. „An Samstagen und Sonntagen spiele ich mit einer kleinen Mannschaft von Freundinnen. Und da trainiere ich auch.“ R. streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. Die Sonne steht jetzt tief. Bald wird es dunkel sein. Früher, als junges Mädchen, hat sie von einer Karriere als Profi-Fußballerin geträumt. Sie war immer auf dem Platz. Ständig hat sie trainiert. „Aber das wollten meine Eltern nicht. Sie waren der Meinung, dass Fußball mich nicht weiterbringen würde.“ Francisca R. zuckt mit den Achseln. Ein wenig Enttäuschung schwingt mit. Aber die Dankbarkeit ist größer. Und die Trauer über die Trennung.
Die Aufgabe
„Ich vermisse meine Eltern sehr. Aber sie konnten nicht hierbleiben. Als ich klein war, haben sie meinen Onkel ermordet. Und dann sind meine Eltern geflohen“, erzählt sie. „Sie wollten mich auch in die USA bringen, aber ich wollte nicht gehen. Ich bin eine motivierte Guatemaltekin, ich will dieses Land besser machen.“ R. lächelt durch die Tränen. Sie hat hier eine Aufgabe.
Sie steht auf dem Gras auf. Den Ball fest in der Hand. Dann wirft sie ihn in die Luft und schießt ihn zu der Gruppe von Jugendlichen hinüber. Jubel und Klatschen. Die 22-Jährige winkt und geht langsam zu zurück zu den parkenden Autos.
„Die Leute hier müssen einfach verstehen, dass es falsch ist, den Wald abzuholzen. Sie müssen verstehen, dass der Wald Leben ist. Wenn ich eines Tages Präsidentin bin, werde ich das alles ändern“, sagt R. und lacht. Der Motor des Geländewagens erwacht zum Leben. R. grüßt ein letztes Mal aus dem heruntergelassenen Fenster, dann verschwinden die Rücklichter in der Dunkelheit.
Einige Monate nach dem Treffen ist die junge Frau aus der Sierra del Lacandón verschwunden. Nun war sie es, die Morddrohungen erhalten hat. Für ihre Arbeit zum Schutz der Wälder. Zu ihrem Schutz halten die Defensores de la Naturaleza ihren neuen Aufenthaltsort geheim. Bis zuletzt wollte Francisca R. nicht ausreisen. Nun hat sie einen Antrag auf Asyl in den USA gestellt mit Hilfe des Projekts Waldschützer*innen von OroVerde. Ob das unter der Politik der neuen US-Regierung überhaupt noch möglich ist, weiß sie nicht.
Francisca R. heißt eigentlich anders. Wir haben ihren Namen zu ihrem Schutz geändert.
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