Forscher fordern internationalen Wissenschaftsrat für Biodiversität (IPBES)
Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland Pressemitteilung, 28.10.10
Nach eineinhalb Wochen Verhandlungen für verbindliche Regelungen für den Schutz und die Nutzung der natürlichen Ressourcen der Welt ist die Themenfülle so massiv geworden, dass selbst erfahrene Begleiter der UN-Konferenzen kaum noch den Überblick behalten. Eine Diskussion auf bester Wissensbasis wird dadurch fast unmöglich, Experten aus der Biodiversitätsforschung haben in dieser Struktur so gut wie keine Möglichkeit, notwendiges Wissen beizusteuern. Das muss sich dringend ändern, um wirkungsvolle Konzepte zur Erhaltung der Lebensgrundlage für heutige und künftige Generationen zu erhalten. Eine Lösung könnte der internationale Wissenschaftsrat für Biodiversität IPBES sein, dessen Einrichtung derzeit die UN-Vollversammlung in New York absegnen soll.
„Es beschleicht einen das Gefühl, als ob fast jedem etwas mulmig ist ob der zunehmenden Komplexität der Verhandlungen und der Vielfalt an Baustellen." schreibt Dr. Carsten Neßhöver, der die 10. UN-Konferenz zur Biodiversität (COP10) in Nagoya begleitet, im NeFo-Blog. Tatsächlich wächst die Zahl der Themen, die auf der alle zwei Jahre stattfindenden Konferenz verhandelt werden, mit jedem Mal an. Wie ein gigantischer Ballon bläst sich die Konvention der UN zur Erhaltung der biologischen Vielfalt auf. Grund dafür ist zum einen die zunehmende Verknüpfung mit sich überschneidenden politischen Bereichen wie etwa dem Klimawandel, der einer der maßgeblichen Treiber des Artensterbens ist, zum anderen aber auch die Verschiebung von Entscheidungen auf spätere COPs, wenn partout keine Einigung zustande kommt. So gibt es hinter vorgehaltener Hand schon Stimmen, dass die diesjährige Konferenz unterbrochen und im nächsten Jahr fortgesetzt werden könnte - um Zeit zu gewinnen und nicht den Anschein eines Scheiterns zu erwecken.
Konsensprinzip der CBD erschwert wirksame Beschlüsse
Hierzu muss man wissen: Die Biodiversitätskonvention CBD beschließt auf Konsensbasis. Ein Beschlusstext muss also so lange geändert werden, bis keiner der 193 Staaten mehr Einspruch erhebt. Diese Regelung führt zum einen leicht zur Verwässerung ursprünglich angestrebter ambitionierter Ziele (siehe NeFo-Blog vom 26. Oktober 2010), zum anderen kommen manche Beschlüsse in besonders kontroversen Bereichen auf diese Weise einfach gar nicht erst zustande.
Das beste Beispiel hierfür bietet das Tauziehen um den Gerechten Vorteilsausgleichs (Access and Benefit Sharing - ABS). Dieses Grundziel der CBD sieht vor, Ursprungsländer von Arten, die beispielsweise als Basis für die Entwicklung von Pharmaerzeugnissen genutzt werden, an den Gewinnen der Konzerne zu beteiligen und beim Aufbau eigener Infrastruktur für die Nutzung zu unterstützen. Die ABS-Arbeitsgruppe ist eine der ältesten. Fast seit Beginn der CBD verhandeln hier die Vertreter von Industrie- und Entwicklungsländern jedes Jahr um verbindliche Regelungen. Bisher ohne Erfolg.
Vor allem aber führt die Themenfülle zu einer Überfrachtung der Akteure wie Staatenvertretern, NGOs, Indigenen und Wissenschaftlern. Die drei letzten haben ein Rederecht erst nach den Staatsdelegationen und kommen mit ihren Argumenten oft aus Zeitmangel gar nicht mehr zum Zug.
Da der Verlust der Biodiversität selbst vielfältige Ursachen wie Landnutzung, Überfischung oder auch Klimawandel hat, tangieren die Verhandlungen um Biodiversität obendrein noch andere internationale Verhandlungsprozesse. „Das zeigt sich etwa in der Anwesenheit von „Klimaprofiverhandlern" in einigen Delegationen, die starke Beschlüsse zum Schutz der Biodiversität zu Gunsten einer Flexibilität in den späteren Verhandlungen zur Klimarahmenkonvention vermeiden wollen." hat Neßhöver festgestellt. Den tatsächlichen Stand des Wissens zur Entwicklung und Gefährdung von Ökosystemen, zu den Verursachern des Schwundes sowie wirkungsvollen Schutzmaßnahmen oder Nutzungsmöglichkeiten, in die Verhandlungen einzubeziehen, ist enorm schwierig. Die diversen sehr guten Reports, die auf den Gängen lägen, werden in der „Hitze der Verhandlungen" in letzter Konsequenz selten berücksichtigt, meint Neßhöver.
IPBES könnte wissensbasiertere Verhandlungen ermöglichen
Deshalb hofft die Biodiversitätsforschung auf die Einrichtung eines internationalen wissenschaftlichen Beratungsgremiums zu Biodiversitätsthemen. IPBES (Intergovernmental Panel on Biodiversity and Ecosystem Services) soll in Überblickstudien den Wissensstand im Vorfeld von Vertragsstaatenkonferenzen zusammentragen und dem Problem des globalen Biodiversitätsverlustes durch internationalen Zusammenhalt der Biodiversitätsforschenden stärkeres Gewicht verleihen. Vorbild ist der IPCC in Klimafragen, ohne den die Thematik sicherlich nicht so schnell die Beachtung erlangt hätte, die sie heute hat. Ob IPBES zustande kommt, entscheidet sich vermutlich bis Ende des Jahres bei der UN-Vollversammlung in New York. Das Gremium soll bewusst nicht im Rahmen der CBD laufen, sondern auch andere internationale Prozesse beraten - und damit eine Unabhängigkeit haben, die dringend nötig ist.