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In Brasília, der auf dem Reißbrett entwickelten Hauptstadt Brasiliens, hört man derzeit ungewohnte Töne. 6.000 Indigene aus 176 Stämmen haben sich seit einer Woche in einem Mega-Protestcamp mit dem Namen „Luta Pela Vida“ (Kampf für das Leben) versammelt, singen, tanzen und halten auf Bühnen flammende Reden. Tagelang sind sie mit dem Bus aus allen Bundesländern Brasiliens gereist, um hier geschlossen, mit Druck und Ausdauer, gegen den sogenannten „Marco Temporal“ zu protestieren – ein Urteil, das nach mehrfacher Verschiebung heute, am 1.September, im Obersten Gerichtshof entschieden werden soll.

Der „Marco Temporal“, übersetzt in etwa „Stichtag“, ist faktisch eine rechtliche Lücke in der brasilianischen Verfassung, die geschlossen werden soll. Denn in der brasilianischen Verfassung steht zwar, dass die Indigenen Brasiliens Recht auf das Land haben, das sie traditionell bewohnen und nutzen, doch darin ist kein Stichtag genannt, wann sie dort gelebt haben sollen – und davon will die brasilianische Regierung nun Gebrauch machen. Der dem Obersten Gerichtshof vorliegende Beschlussvorschlag sieht vor, indigenen Völkern das Recht auf ihr Land zu entziehen, sollten sie dort nicht vor dem 5. Oktober 1988 bereits gelebt haben. Dieses Datum wurde gewählt, weil es der Tag ist, an dem die brasilianische Verfassung in Kraft getreten ist.

Doch die Geschichte der Indigenen beginnt natürlich nicht erst 1988!

Viele Völker, darunter die Guaraní, wurden bereits vor diesem Stichtag von ihrem Land vertrieben und leben nun in Gebieten, die sie erst nach 1988 beziehen durften. Selbst unkontaktierte Völker würden mit Inkrafttreten des Urteils das Recht auf ihr Land verlieren, sollte ihre Existenz und Aufenthaltsort erst nach 1988 offiziell bestätigt worden sein.  Hunderten Völkern in Brasilien wurde das Gebiet, auf dem sie leben, zudem noch nicht rechtmäßig anerkannt.

Gleichzeitig befindet sich der dazu passende Gesetzesentwurf PL490 bereits zur Abstimmung im Kongress. Wenn PL490 verabschiedet werden würde, dann wäre indigenes Land für die mächtige brasilianische Agrarindustrie sowie auch für den immer weiter wachsenden Bergbau freigegeben.  

Nach mehrfachen Vertagungen soll nun am 1. September 2021 die Verhandlung zum „Marco Temporal“ wiederaufgenommen werden. Sollte er vom Obersten Gerichtshof anerkannt und der Gesetzesentwurf PL490 verabschiedet werden, wäre das eine Katastrophe für die indigene Bevölkerung - und für die Natur. Denn viele Studien haben u.a. mit Hilfe von Satellitendaten bewiesen, dass indigene Stämme die wahren Hüter der Wälder sind: Gerade im brasilianischen Amazonasgebiet haben indigene Gebiete weniger Waldverlust, als staatliche Schutzgebiete. Durch ihre Anwesenheit bleibt die Biodiversität oftmals nicht nur erhalten, sondern wird sogar erhöht.

Zum Protest in die Hauptstadt Brasilia

Zum Protest in der Hauptstadt aufgerufen wurden die indigenen Stämme von der Vereinigung der indigenen Völker Brasiliens, APIB. Besonders ist das Camp, weil dort Vertreter*innen von 176 Stämmen aus ganz Brasilien vereint sind, mit größtenteils unterschiedlichen Sprachen und Bräuchen, Tänzen und Kleidungen – doch alle sind sich einig, dieses Urteil und Gesetz würden nicht nur ihr Überleben gefährden, sondern das eines gesunden, lebenswerten Planeten.

Alexandra Munduruku, Anführerin des Mundukuru-Volks, bringt es in einem Video-Interview, das sie der brasilianischen Zeitung Folha de São Paulo gab, auf den Punkt: „Ohne die indigenen Stämme, ohne den Wald, wird es keine Umwelt geben. Wir müssen sie schützen für uns alle. Wir müssen das schützen, was wir atmen. Wir müssen das schützen, was wir essen. Wir müssen das Leben schützen.“

Wiederaufforstung und Klimaschutz fördern

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Fotonachweis: © Philipp Hampel