Mit Rückblick auf die revolutionären Erfindungen der letzten Jahrhunderte entsteht leicht das Bild, dass der Mensch sich immer mehr von der Natur entfernt. Doch für viele der technologischen Meilensteine, die unseren Alltag prägen, diente die Natur als Inspiration. Denn im Laufe von Millionen von Jahren haben Tiere und Pflanzen geniale Überlebensstrategien entwickelt, von denen der Mensch viel lernen kann. Gerade in Zeiten des Klimawandels können bionische Erfindungen zukunftsweisend sein.
Was ist Bionik?
Bionik bezeichnet eine wissenschaftliche Disziplin, in der sich Wissenschaftler*innen in ihren Innovationen und von der Natur inspirieren lassen. Das Wort setzt sich aus den beiden Begriffen Biologie und Technik zusammen. Im Kern der Bionik liegt dabei das Beobachten, Erforschen und das Verstehen von Organismen in der Natur. Werden etwa bei Tieren und Pflanzen Mechanismen und Prinzipien entdeckt, die auch für menschengemachte Technik nützlich sein könnten, untersuchen Forschende die Funktionen, Strukturen und Verhaltensmuster genau, bevor sie in den technischen Kontext übertragen werden können.
Häufig wird das Entwerfen von bionischen Erfindungen auch als Biomimikry bezeichnet. Der biologische Begriff Mimikry wird verwendet, wenn eine Art eine andere durch ihr Aussehen, ihren Geruch oder Geräusche nachahmt. Ein Beispiel dafür sind zum Beispiel Schwebfliegen, die mit ihrem schwarz-gelb-gestreiften Aussehen Bienen und Wespen nachahmen, um gefährlich zu wirken.
Klassische Beispiel für Bionik sind Klettverschlüsse, welche sich an der Kletten-Pflanze orientiert, die sich zur Verbreitung ihrer Samen im Fell von Tieren festhakt, oder die Tragflächen von Flugzeugen, die nach dem Vorbild von Vogelflügeln designt wurden. Der Ultraschall, welcher für die Medizin ein wichtiger Fortschritt war, richtet sich nach einem natürlichen Vorbild: dem Sonar von Walen oder Fledermäusen, die sich mit Schallwellen ein Bild von ihrer Umgebung machen können. Auch bei der Entwicklung von Reflektoren, wie sie beispielsweise an Fahrrädern zu finden sind, orientierten sich Forschende an den Augen von Katzen – daher auch der Name Katzenauge.
Kurze Geschichte der Bionik
Schon seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte lässt sich der Mensch in seinen Erfindungen von der Natur inspirieren. Doch einen entscheidenden Schritt in der Bionik machte der italienische Erfinder, Philosoph und Künstler Leonardo da Vinci. Er gilt als der erste Bioniker der Menschheit. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts entwarf er nach dem Vorbild von Vögeln die ersten Flugmaschinen. Seine Skizzen und Beobachtungen zeugen von einem tiefen Verständnis der biologischen Strukturen. Während seiner Lebenszeit gelang es Da Vinci allerdings nicht, eine erfolgreiche bionische Flugmaschine zu bauen.
Der Begriff „Bionik“ wurde allerdings erst gut 400 Jahre später vom amerikanischen Neurologen J. E. Steele im Jahr 1958 geprägt. Seitdem hat sich die Bionik zu einem eigenständigen Forschungsfeld entwickelt, das Innovationen in verschiedensten Bereichen – von der Architektur über die Robotik bis hin zur Medizintechnik – hervorgebracht hat.
Bionik als Meilenstein in der nachhaltige Entwicklung
Umweltzerstörung und Klimawandel sind wachsende Bedrohungen, mit denen unser Planet derzeit zu kämpfen hat. Die Ursachen beider Krisen müssen von uns Menschen entschieden angegangen werden. Durch ihre naturinspirierte Herangehensweise dazu beitragen, dass nachhaltige Lösungen gefunden werden. Durch intelligente Designs und bionische Innovationen können wir die Umweltverschmutzung und die Treibhausgasemissionen erheblich reduzieren.
Ein gutes Beispiel hierfür sind zum Beispiel Flugzeugtragflächen, die der Form einer Buckelwalflosse nachempfunden sind. Die Seitenflossen von Buckelwalen haben an der Vorderseite wellenartige Ausstülpungen, die im Wasser für besseren Auftrieb und weniger Widerstand sorgen. Wissenschaftler*innen übertrugen diese Beobachtung aus dem Wasser auf die Luft und stellten fest, dass Flugzeugtragflächen mit einer „buckeligen“ Vorderkante die Luftströme besser leiten können. Das führt zu einem höheren Auftrieb und besserer Wendigkeit von Flugzeugen, wodurch Treibstoff und Emissionen gespart werden könnten. Dieselbe Technologie kann auch auf die Flügel von Windmühlen übertragen werden, welche sich als Folge mit weniger Luftwiderstand bewegen und mehr Energie aus Wind gewinnen können.
Bionik aus den Tropen?
Tropische Wälder sind einer der artenreichsten Lebensräume, die auf unserem Planeten zu finden sind. Viele Tiere und Pflanzen haben sich im Laufe der Jahrhunderte mit einzigartigen Eigenschaften und Überlebensstrategien an ihren Lebensraum angepasst und sind dabei extrem effizient und erfinderisch geworden. Einige bionische Erfindungen aus dem Tropenwald sind schon weltweit etabliert, andere weniger bekannt.
Sieben Beispiele für Bionik aus dem Regenwald näher erklärt
Eines der bekanntesten Beispiele für Bionik stammt aus den Tropen: Der Lotuseffekt. In den 1970er Jahren bemerkte der deutsche Wissenschaftler Wilhelm Barthlott, dass Schmutz und Wasser von den Blättern der Lotusblume immer abperlen. Nach intensiver Forschung wurde festgestellt, dass für diese einzigartige Eigenschaft mikroskopisch kleine Noppen verantwortlich sind, welche die Blattoberfläche bedecken. Diese bewirken, dass Wassertropfen und Schmutzpartikel nur wenige Berührungspunkte mit dem Blatt haben und deshalb nicht haften bleiben können.
Uns Menschen eröffnete diese Entdeckung einige praktische Erfindungen beziehungsweise Anpassungen für den Alltag, zum Beispiel selbstreinigende Lacke für Fassaden. In der Zukunft könnten auch Beschichtungen für Autos und Flugzeuge entwickelt werden, die der Vereisung von Flächen vorbeugen. So könnten Zeit und chemische Mittel eingespart werden, um Eis auf Tragflächen und Windschutzscheiben zu verhindern.
Bei hohen Außentemperaturen wird viel Energie benötigt, um Gebäude kühl zu halten. Inspiration für nachhaltige Designs bieten überraschenderweise Termiten. Trotz ihrer kleinen Größe können Termiten erstaunliche architektonische Leistungen vollbringen. Ihre Termitenhügel sind nicht nur bis zu zehn Meter hoch, sondern auch besonders effizient gebaut, um Überhitzungen im tropischen Klima zu vermeiden. Dabei machen sich die Termiten die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht zunutze. Das Innere des Termitenhügels ist von vielen Gängen durchzogen. Während des Tages heizen sich die Gänge in der Nähe der Außenwände schneller auf als die weiter innen liegenden. Da heiße Luft nach oben steigt, kann die Hitze wird durch senkrechte Gänge nach oben abgeleitet werden, sodass das Innere des Hügels gekühlt bleibt. Während der Nacht kühlen sich die Außenwände ab und lassen frische Luft bis ins Innere des Hügels vordringen. Das Innere des Hügels ist außerdem von einem Raster von dünnen Gängen geprägt, durch welche die Luft zirkulieren kann, um für weitere Abkühlung zu sorgen.
Der simbabwische Architekt Mick Pearce nahm sich für den Bau eines Shopping Centers in Harare, Simbabwe, ebendiesen selbstkühlenden Effekt von Termitenbauten als Vorbild. 1996 eröffnete das Eastgate Centre, das durch seinen bionischen Bau um die 35 Prozent weniger Energie verbraucht als herkömmliche Bauten in Harare.
Vor rund 12.000 Jahren begannen Menschen damit, Lebensmittel anzubauen. Diese Idee war revolutionär für unsere Geschichte als Spezies – jedoch waren wir damit nicht die ersten. Blattschneideameisen, welche bereits seit über 50 Millionen durch die tropischen Regenwälder des heutigen Südamerikas krabbeln, hatten die Kultivierung von anderen Organismen für ihre eigenen Zwecke längst entdeckt.
Denn diese Ameisenarten kultivieren in ihren Kolonien einen Pilz, der ihre Hauptnahrungsquelle ist. Sie sammeln Blätter und Halme und zerkauen diese zu einer Art Kompost, den sie zusätzlich mit ihrem Kot düngen. Auf diesem Substrat wächst dann der Pilz. Wissenschaftler*innen der Universität Kopenhagen gehen davon aus, dass die menschliche Landwirtschaft in Hinblick auf Nachhaltigkeit und Resilienz einiges von den Blattschneideameisen lernen kann - gerade in Zeiten des Klimawandels. Denn die Agrikultur der Ameisen besteht seit Millionen von Jahren und hat sich trotz Klimaveränderungen gehalten und bewährt.
Die goldene Seidenspinne ist bei Biolog*innen für ihre unglaublich stabile Seide bekannt.
Die Netze der goldenen Seidenspinne bestehen aus einem einzigartigen Material, das extrem stabil, elastisch und biokompatibel ist. Bislang gibt es kein vergleichbares, vom Menschen hergestelltes Material. Doch ein bionischer Spinnenfaden könnte in vielen verschiedenen Bereichen einen Meilenstein für Technologien darstellen: Etwa für den Bau von Infrastruktur, in der Medizin zum Verschließen von Wunden oder in der Rüstungsindustrie für schusssichere Westen.
Ein Team von lettischen Forscher*innen hat, wie in einem Paper aus 2024 berichtet wurde, einen synthetischen Faden entwickelt, der dem Faden der goldenen Seidenspinne nachempfunden ist.
Materialien, die sich selbst heilen können? Für den Menschen eine revolutionäre Idee. Nach dem Beispiel von Lianen, die kleine Verletzungen spontan selbstheilen können, ist es einer Gruppe Forscher*innen aus Freiburg gelungen, diese Fähigkeit auf technische Probleme zu übertragen. Sie entwickelten eine bestimmte Schaumbeschichtung, die den Druckverlust von Oberflächen bei Beschädigungen verringert. Ein erster Anwendungsbereich sind Autoreifen, die sich nach einer Beschädigung vorrübergehend selbst reparieren können. Mithilfe dieser Technologie könnten auch andere aufblasbare Strukturen – etwa Schlauchboote oder Luftmatratzen – langlebiger werden.
Geckos und Eidechsen haben die fantastische Fähigkeit, Bäume oder Wände senkrecht herauf- und herunterzuklettern oder sogar kopfüber an der Decke zu laufen. Sie sind die größten Tiere, die dazu in der Lage sind. Diese Fähigkeit verdanken Geckos ihren Füßen. Unter den Füßen befinden sich mehrere Sohlenbänder, welche sich mit dem bloßen Auge erkennen lassen. Was man aber nicht ohne Mikroskop erkennt: Diese Bänder bestehen aus endlos vielen Härchen, welche sich ihrerseits in weitere, noch kleinere Härchen aufteilen. Am Ende dieser Härchen befindet sich eine etwas vergrößerte Fläche. Durch diese besondere Struktur sichert sich der Gecko einen besonders dichten Kontakt mit der Fläche, über die er läuft.
Diese Struktur haben sich Forschende angeeignet und ein Klebeband entwickelt, das nach demselben Prinzip funktioniert. Das Material kann auf glatten sowie auf unebenen Flächen haften und hinterlässt keine Spuren. Ebenso kann es auf der menschlichen Haut haften, was es auch für den medizinischen Bereich interessant macht.
Bäume im Tropenwald können bis zu 100 Meter hoch werden – und brauchen ein dementsprechend gutes Netz an Wurzeln, das sie stabilisiert. Besonders hohe Bäume entwickelten dafür sogenannte Brettwurzeln. Inspiriert von diesen Brettwurzeln entwarfen Forschende sogenannte Spanndreiecke, die Konstruktionen wie Gebäude oder Brücken stabilisieren können.
Diese Seite entstand im Rahmen des BNE-Projekts „Transformation“. Dieses Bildungsprojekt wird gefördert durch die Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen und ENGAGEMENT GLOBAL mit Mitteln des BMZ.


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Bildnachweis: Titelbild (Pexels und Skizze von Leonardo Da Vinci), Skizze für Flugmaschine (Leonardo Da Vinci via Pexels), Buckelwal (Pexels), Infografik Bionik aus dem Tropenwald (OroVerde - E. Bakker).
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Letzte Überarbeitung: 05.06.2025.