Im September 2023 spitzte sich an der Grenze zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik ein langanhaltender Konflikt dramatisch zu – ausgelöst nicht durch politische Parolen oder wirtschaftliche Interessen, sondern durch ein Element, das für das Überleben unerlässlich ist: Wasser.
15. Mai 2025 | Malou Rostock
Mitten in einer von Dürre geplagten Region griff die haitianische Bevölkerung zur Selbsthilfe und nahm eigenmächtig den Bau eines Bewässerungskanals wieder auf, der das Wasser des gemeinsamen Grenzflusses Massacre, auch Dajabón-Fluss genannt, ableiten sollte. Der Bau des sogenannten Pittobert-Kanals war nach der Ermordung des Präsidenten 2021 zum Stillstand gekommen. Grund für den Kanal war die dringend notwendige Bewässerung der umliegenden Felder zur Nahrungsmittelproduktion, um die Hungersnot zu bekämpfen und die lokale Wirtschaft zu stärken.
Seit Beginn der Planungen im Jahr 2011 stieß das Projekt in der Dominikanischen Republik aus mehreren Gründen auf Ablehnung, vor allem wegen der Befürchtung, selbst nicht genügend Wasser für die eigene Landwirtschaft zu haben. Internationale Aufmerksamkeit erregte der Konflikt unter anderem durch Dr. Bertrhude Albert, die damals über ihre Sozialen Netzwerke in kurzen Tik Tok-Videos über die Geschichte Haitis informierte und ihre Plattform nutzte, um die internationale Diaspora zur Unterstützung aufzurufen. Innerhalb kürzester Zeit erhielt Dr. Bertrhude Albert über ihre Organisation mehr als 100.000 US-Dollar an Spenden für den Bau des Kanals. Sie selbst bezeichnet sich als Brücke zwischen der haitianischen Diaspora und den Haitianer*innen vor Ort, um „für ein neues Haiti zu kämpfen, um für den Wiederaufbau des Landes zu kämpfen, ohne die Unterstützung der Außenwelt, von anderen Nationen, und sogar ohne der eigenen Regierung“. Die Tatsache, dass Haiti zu diesem Zeitpunkt nicht von einem Präsidenten regiert wurde und das Projekt ohne Regierungsgelder oder andere externe Finanzierung startete, trug maßgeblich zur internationalen Aufmerksamkeit bei.
Ihr Glaube an die Kraft gemeinsamer Anstrengungen und die Notwendigkeit, die eigene Geschichte selbst zu schreiben, wird in ihren Worten deutlich: „Ich glaube fest daran, dass dieser Kanal – diese gemeinsame Anstrengung – eine der wichtigsten Entwicklungen in der modernen Geschichte Haitis darstellt. Teil dieser Bewegung zu sein, erfüllt mich mit tiefem Stolz.“

Wer ist Bertrhude Albert?
Dr. Bertrhude Albert ist eine haitianisch-amerikanische Wissenschaftlerin mit einem Doktortitel in Agrarpädagogik und Kommunikation sowie einem Master in Lateinamerikastudien. Aufgrund ihres Migrationshintergrundes lag ihr akademischer Schwerpunkt stets auf Haiti. Im Alter von acht Jahren migrierte sie mit ihrer Familie in die USA, und kehrte erst für das verheerenden Erdbeben 2010 nach Haiti zurück um die Menschen vor Ort zu unterstützten. Die Rückkehr nach Haiti weckte in ihr eine tiefe Verbundenheit zu ihrem Heimatland, dem sie seitdem ihr Leben und ihre Arbeit widmet. Dies führte dazu, dass sie kurz darauf die Non-Profit-Organisation P4H Global mitbegründete, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Bildungssystem zu revolutionieren, indem Lehrer*innen besser ausgebildet und geschult werden. Neben ihrer Tätigkeit als Professorin an der Universität verbreitet sie Videos über Soziale Medien wie Tik Tok und Instagram, um die „wahre Geschichte“ Haitis zu erzählen und ein positiveres Bild des Landes in der Welt zu verbreiten. Ihre Organisation P4H Global wurde schließlich 2022 mit dem Hamdan Preis der UNESCO ausgezeichnet, mehr als 10.000 Lehrer*innen wurden bereits ausgebildet und P4H Global hat sich als größte Organisation für Lehrerfortbildung in Haiti etabliert.
Seit der medialen Aufmerksamkeit des ersten Kanals, wurden weitere Kanäle und Infrastrukturprojekte begonnen, um besseren Zugang zu Wasser zu haben und die eigene Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Bertrhude Albert fasst die Bedeutung des Wassers für Haiti folgendermaßen zusammen:
Wasser ist Leben - nicht nur für unsere Ernte, sondern auch für unseren Körper und für unseren Geist. In Haiti haben wir in unserer nordöstlichen Region, der Maribaroux-Ebene, mit einer schrecklichen Dürre zu kämpfen. Das Überleben unseres Volkes hing von unserer Fähigkeit ab, das Verlorene Land wiederherzustellen. Beim Bau des Kanals ging es also nicht nur um den Bau eines physischen Bauwerks, sondern auch darum, unsere Hoffnung zu stärken, unsere Würde wiederherzustellen und jeden Haitianer daran zu erinnern, dass wir die Macht haben, unsere Zukunft selbst zu gestalten. Seit dem Bau des Kanals hat sich die geschätzte Zahl der Landwirte in der Region mehr als verdoppelt und auch die Reisproduktion hat sich verdoppelt. Die Auswirkungen auf die Region sind enorm, und wir sind entschlossen, diese Arbeit fortzusetzen - zum Wohle unseres Volkes und unserer Nation.* Ayiti p ap peri. Viv Ayiti! (Haiti wird nicht untergehen! Lang lebe Haiti!)
Die Kraft der Gemeinschaft in Haiti
Der Wasserkonflikt zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik im Jahr 2023 zeigt eindrücklich, wie die zunehmende Wasserknappheit, verschärft durch den Klimawandel, zu regionalen Konflikten um lebenswichtige Ressourcen führen kann. Gerade in solchen Extremsituationen wie in Haiti zeigt sich die transformative Kraft von gesellschaftlicher Eigeninitiative und Veränderungsbereitschaft. Das Beispiel des Kanalbaus in Haiti, welcher maßgeblich durch das Engagement von Persönlichkeiten wie Bertrhude Albert und ihrer Organisation P4H Global vorangetrieben wurde, zeigt eindrucksvoll, wie die Mobilisierung der lokalen Bevölkerung und der globalen Diaspora zur Realisierung lebenswichtiger Projekte führen kann, wenn koordinierende Akteur*innen mit entsprechender Reichweite Unterstützende gewinnen.

Warum wir bei OroVerde auf graue Infrastruktur verzichten
Doch der Bau von Kanälen zur Bewässerung der Felder allein wird das Problem der sich ausbreitenden Dürre nicht lösen. Um das Wasser gut im Boden speichern zu können, braucht es Vegetation wie Bäume. Genau dieses Problem hat OroVerde schon vor Jahren erkannt und unterstützt seitdem die lokale Bevölkerung bei der Wiederaufforstung. OroVerde setzt deshalb bewusst nicht auf sogenannte graue Infrastrukturprojekte – wie etwa groß angelegte Kanalsysteme –, da sie oft teuer, ressourcenintensiv und langfristig kaum nachhaltig sind. Solche technischen Lösungen greifen meist zu kurz, wenn es um die komplexen Herausforderungen des Klimawandels geht. Stattdessen verfolgen wir bei OroVerde einen anderen Ansatz: ökosystembasierte Anpassungsmaßnahmen (kurz EbA), die im Einklang mit der Natur stehen. Anstatt nur Wasser zu leiten, setzen wir darauf, es im Boden zu halten – durch Wiederaufforstung, den Schutz natürlicher Vegetation und die Förderung gesunder Böden. Diese „grüne“ Infrastruktur ist nicht nur kostengünstiger und robuster gegenüber extremen Wetterereignissen, sie leistet zugleich einen Beitrag zur Biodiversität, verbessert das Mikroklima und stärkt die Widerstandsfähigkeit ganzer Regionen.
Unsere Projektpartner zielen dabei auf eine grenzübergreifende Lösung des Wasserproblems ab. Das KlimaWald-Projektgebiet von Centro Naturaleza ist Teil des Wassereinzugsgebiets des Grenzflusses zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik. Gerade hier zeigt sich unser grenzübergreifender, konfliktlösender Ansatz besonders deutlich: Gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der haitianischen und dominikanischen Zivilgesellschaft arbeiten wir gezielt daran, Lösungen für ein nachhaltiges Wassermanagement zu entwickeln, die beide Seiten des Flusses einbeziehen. So wird aus einem lokalen Ansatz eine regionale Strategie – für mehr Resilienz und Zusammenarbeit im Grenzraum.
Zivilgesellschaft als Schlüssel zur Resilienz
Letztlich zeigen sowohl der eigeninitiierte Kanalbau als auch die gemeinschaftlich getragenen Wiederaufforstungsmaßnahmen, wie groß der Wille in der Bevölkerung ist, der Klimakrise aktiv zu begegnen. Auch in einem fragilen Staat wie Haiti. Unterschiedlich in der Herangehensweise, eint beide Ansätze ein zentraler Gedanke: Die Menschen vor Ort übernehmen Verantwortung für ihre Zukunft. Genau hier setzt auch die Arbeit von OroVerde an – nicht mit fertigen Lösungen, sondern durch die Stärkung lokaler Strukturen, Wissenstransfer und Unterstützung von zivilgesellschaftlichem Engagement. Denn eine widerstandsfähige, nachhaltige Entwicklung kann nur gelingen, wenn sie aus der Gesellschaft selbst heraus wächst – mit tiefen Wurzeln in der Gemeinschaft.
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Fotonachweise: ©OroVerde - J. Baumann (Header), ©Bertrhude.com - Dr. B. Albert, ©OroVerde - E. Mannigel; *Zitat wurde sinngemäß aus dem Englischen übersetzt.