Für den Trip in den Regenwald tauscht Cristina Escobar Sneaker gegen Schnürstiefel. Warum die Biologin Jaguare zählt und was das mit der Gesundheit der Wälder zu tun hat.
18. Juli 2024 | Christian Neeb
Der Motor röhrt noch einmal auf. Dann verstummt er mit einem Gurgeln. Klatschend taucht der Bug wieder ins Wasser. „Da drüben“, sagt Cristina Escobar und deutet auf den Horizont. „Jetzt wird es ungemütlich.“ Dort, wo ihr Zeigefinger zwischen dem Grün der Flussufer hindeutet, kommt eine tiefschwarze Wolke angezogen. Auf dem Wasser zeichnen Regentropfen erste konzentrische Kreise. Sie wandern auf die Reling des kleinen Motorboots zu, wie eine Wand. Escobar packt die eine Ecke der schweren schwarzen Plane, die ihr Kollege aus dem vorderen Teil des Boots reicht. Keine Sekunde zu spät. Mit einem Trommeln fällt der Platzregen.
Gewaltigen Wassermassen tränken die Tropenwälder Süd- und Mittelamerikas. Hier ergießt sie sich über einen Fluss am Boden, dem Rio Usumacinta. Ganz im Westen Guatemalas zieht er die Grenze zu Mexiko – und teilt den Regenwald der Sierra del Lacandón in zwei Hälften.
Wasser unten. Wasser oben. Fluss im Fluss. Dann — nach ein paar Minuten — ist der Schauer vorüber und die Fahrt mit dem Motorboot geht weiter. „Bald sind wir in El Porvenir“, sagt Escobar und streicht sich lachend das nasse Haar aus dem Gesicht. Die Fahrt mit dem Motorboot in den letzten Außenposten der Organisation Defensores de la Naturaleza dauert mehrere Stunden. Hier ist die Kernzone des Regenwaldes der Region Péten. Das Stammland der Maya.
Cristina & Jaguar
Für die 27-Jährige ist die Reise Routine. In El Porvenir sind Ranger der Organisation jeweils mehrere Wochen stationiert, um den Fortschritt der Tropenwald-Schutzprojekte zu sichern. Und auch Escobars Hauptfokus liegt hier. „Ich überwache die Populationsdynamik unserer Schirmarten im Park und schaue, wie es ihnen geht“, sagt Escobar. „Das sind der Jaguar, der Weißbartpekari und der Tapir.“
Das Umsorgen dieser Arten spannt einen Schutzschirm über ganze Ökosysteme aus. Wenn es diesen drei Tierarten gut geht, geht es auch dem Rest der Arten gut, denn sie haben untereinander viele Berührungspunkte. Um das zu überwachen, müssen Jaguar und Co. aber erstmal in Escobars Fallen tappen. Die beeinträchtigen die Tiere jedoch nicht sonderlich, denn sie nehmen nur ihre Bilder auf. Rund um El Porvenir hat die Biologin diese Fotofallen aufgestellt.
Nach der letzten Flussbiegung kommt das Camp in Sicht. Escobar winkt und ruft ihren Kollegen zu, die nun zum Ufer geeilt kommen. „Da seid ihr ja endlich.“ Lachend wird das Gepäck an Land gebracht, dann stehen alle inmitten des Camps.
Besuch vom Nasenbären
Vier große Hütten bilden einen Halbkreis auf einer Lichtung im Dickicht des Waldes am Fluss. Ein großer Wasserturm überragt die flachen Bauten. Zwischen den Gebäuden verlaufen Stege aus Beton, die auch bei starkem Regen den Weg in das Kochhaus, die Schlafstätten oder den Raum mit den Duschen ermöglichen. Strom gibt es hier nur abends, wenn ein Generator für ein paar Stunden Elektrizität erzeugt. Dann laden alle ihre Geräte auf für den nächsten Tag.
Zu einem der Schlafhäuser schleppt Escobar ihren schweren Rucksack. „Meine Mutter ist Agraringenieurin und ich bin viel mit ihr gereist“, sagt sie. „Sie war viel im Feld und ich habe sie so gerne dabei begleitet.“ Im Feld sein, so sprechen viele Regenwaldschützer über ihre Einsätze fernab von Büros und Laptops. Im Feld, das bedeutet zwischen Bäumen, blühenden Pflanzen und Tieren zu sein. Im Feld, das bedeutet dem Wald ganz nah.
Für Cristina Escobar bedeutet es auch, dass sie sich ihren liebsten Tieren nähert. „Solange ich mich erinnern kann, liebe ich Katzen, besonders die großen“, sagt sie. „Seit ich zum ersten Mal einen Jaguar im Zoo gesehen habe in Guatemala-Stadt. Da war ich sechs Jahre alt.“ Die Entscheidung mit Tieren zu arbeiten, fiel später, als sie erfuhr, dass der Jaguar in ihrem eigenen Land verbreitet ist.
Hier in El Porvenir lässt sich ihr Lieblingstier heute allerdings nicht blicken. In den Bäumen hoch oben über dem Lager schreien Brüllaffen in die Abenddämmerung hinein. In einem Seitenarm entlang der kleinen Halbinsel hat ein Ranger gerade ein Krokodil gesehen. In den Bäumen links sitzen Leguane und sonnen sich. „Wir haben Besuch“, hallt ein Ruf über den Platz. Neben dem Kochhaus kommt ein Nasenbär auf der Suche nach einem Snack aus dem Gebüsch.
Stadt der Jaguare, Stadt der Schlangen
Cristina Escobar stammt aus Quetzaltenango, der Bergregion im Südwesten Guatemalas. Nach Petén an die Grenze zu Mexiko ist sie wegen der Katzen gekommen. Nach ihrem Biologiestudium und der Arbeit für die Wildlife Conservation Society stellt sie hier jetzt Kameras und Akustikfallen für die Defensores de la Naturaleza auf.
„Wir müssen die Arten erhalten, unsere Umwelt“, sagt Escobar. „Nur so können wir unseren Planeten retten.“ Dieser Schutz der Ökosysteme in der Sierra del Lacandón bezieht sich auch auf Stätten der Maya. Hier in der Kernzone des Waldes liegt Piedras Negras. Der Dschungel hat die Ruinenstadt fernab von moderner Zivilisation zu großen Teilen zurückerobert. Statt Menschen schlängeln sich heute giftige Terciopelo-Lanzenottern über die Treppenstufen, den Wurzeln vieler Bäume zum Verwechseln ähnlich. Und Jaguare streifen zwischen den halb verfallenen Kultstätten umher.
Piedras Negras liegt wenige Bootsminuten südlich von El Porvenir. Ob Escobar hier noch einmal diesen magischen Moment erleben wird? Diesen Moment, in dem sie einen Jaguar in freier Wildbahn gesehen hat, nicht durch die Gitterstäbe eines Zoos? Die Biologin wandert über die verlassenen Pfade, lässt sich von ihrem Kollegen Nery Jurado die Verwendung medizinischer Pflanzen erklären und bestaunt die Architekturkünste der Maya-Baumeister*innen. Nur das gepunktete Fell will nirgends zwischen den gefächerten Farnen und den Baumriesen auftauchen.
Schmusekätzchen
„Den Jaguaren geht es gut. Ihre Zahl ist stabil“, sagt Escobar eine Woche später zurück in der Zivilisation. Im Hauptquartier der Defensores in der Stadt Flores wertet sie ihre Beobachtungen aus. Die Schnürstiefel hat sie wieder gegen ihre Sneaker eingetauscht – mit Jaguarmuster. Zehn der majestätischen Raubkatzen hat Escobar in der Sierra del Lacandón bislang identifiziert. Doch ein positiver Trend ist das noch nicht. „Wenn es so weiter geht im Park, dann sieht es schlecht aus“, sagt die Biologin. „Bislang sind die Zahlen noch stabil. Aber wenn der Wald weiter abgeholzt wird, werden sie zurückgehen.“
Damit es dazu nicht kommt, unternehmen OroVerde und die Defensores in immer neuen Projekten Anstrengungen: entwaldete Fläche aufforsten, mit Kleinproduzent*innen an neuen nachhaltigen Anbaumethoden arbeiten, Regenwaldschutz auf politischer Ebene verankern. Auch Cristina Escobar hat Pläne für das Monitoring der Biodiversität im Park.
Ich bräuchte Mittel für die Anschaffung von Kameraausrüstungen, damit ich ein größeres Gebiet abdecken kann. Ich würde gerne einen Vergleich zwischen den Agroforstsystemen, den wiederbewaldeten Brachflächen und dem Sekundärwald anstellen. Und ich würde gerne einen bioakustischen Vergleich mit Fledermäusen und Vögeln vornehmen. Am besten wäre es, wenn ich Personal zur Unterstützung bekommen könnte, denn momentan kümmere ich mich allein um das biologische Monitoring im Park.
Eine Katze streicht um Escobars Beine. Die Biologin nimmt sie auf den Arm. Ihre Finger fahren durch das Fell, während sie sich an ihre erste Begegnung mit deren großer Artgenossin erinnert.
„Es war in einem anderen Teil des Maya-Biosphärenreservats. Ich ging mit einem Parkranger spazieren und stellte Kamerafallen auf. Der Ranger sagte leise zu mir: Schau! Ich drehte mich um, und da war er. Ein junger Jaguar, der mitten auf dem Weg stand und uns beobachtete. Er war für fünf Sekunden da und dann war er weg. Das war für mich einer der schönsten Momente überhaupt“, sagt Escobar und lacht. Sie streichelt das Fellknäuel in ihren Armen. „Die besten fünf Sekunden meines Lebens.“
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Christian Neeb
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Fotonachweis: OroVerde - M. Schulze-Vorberg (Boot, Cristina Escobar, Cristina Escobar mit Katze), OroVerde - Chr. Neeb (Camp), Pexels – Molnár Tamás Photography™ (Symbolbild Jaguar)