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Wie können wir mit Grafiken und Illustrationen komplexe Inhalte vermitteln? Und ist das überhaupt möglich? Die Grafikerin und Illustratorin Marie-Pascale Gafinen gibt Einblick in ihre Spezialdisziplin Graphic Recording und vermittelt Tipps und Tricks, wie Grafiken für eine große Reichweite optimiert werden können - egal ob gedruckt, digital oder in den Sozialen Medien.

Eine zentrale Herausforderung für die Nachhaltigkeits- und Klimakommunikation ist es breite Bevölkerungsgruppen anzusprechen – können Grafiken das überhaupt?

Das mit den breiten Bevölkerungsgruppen ist schon mal schwierig, weil eine Grafik ja eigentlich immer auf die Zielgruppe zugeschnitten sein muss. Also wenn ich jetzt zum Beispiel Unternehmer ansprechen will, muss ich eine ganz andere Bildsprache wählen, als wenn ich umweltbewusste, junge Menschen auf Instagram erreichen will. Die Ansprache ist natürlich insofern breit, als dass es keine eins-zu-eins-Kommunikation ist. Aber ich glaube man muss sich schon von der Idee verabschieden, dass man alle mit einem Bild erreichen kann. 

Können Grafiken dennoch für mehr Reichweite sorgen?

Wenn wir jetzt zum Beispiel in Richtung Facebook und Instagram denken, dann muss man einfach die Möglichkeiten gegeneinander abwägen. Man könnte einen reinen Text-Post machen, aber das mag der Algorithmus nicht so und die Nutzer natürlich auch nicht. Von daher ist ein Bild auf jeden Fall eine gute Variante. Dann stellt sich natürlich die Frage, was für ein Bild ich poste. Da gibt es ganz viele Möglichkeiten. Ich sage nicht, dass Fotos generell schlecht sind; Fotos sind auch eine tolle Möglichkeit. Aber es gibt eben Fälle, wo Zeichnungen einfach Vorteile bieten. Sie können unter anderem Dinge zusammenbringen, die in der Realität gar nicht so direkt nebeneinanderstehen oder die vielleicht in der Realität gar nicht sichtbar sind. Es ist oft so, dass wir Effekte haben, wo ich nicht sagen kann „Hier ist ein Foto vom Tipping Point.“ (lacht) Deswegen sind Erklär-Grafiken natürlich ganz hilfreich in der Kommunikation.
 

 

Lassen sich so auch komplexere Zusammenhänge darzustellen?

Ja, aber komplexe Zusammenhänge so darzustellen, dass die Darstellung den Einzelnen anspricht, das ist sehr schwierig. Zum Beispiel, dass die Handlungen des Einzelnen, wie das Autofahren oder das Fliegen – natürlich in Summe – tatsächlich in Zusammenhang mit Folgen des Klimawandels stehen. Ich glaube, das ist etwas, was in vielen Köpfen noch nicht zusammengeht. Die Herausforderung ist etwas zu machen, wo der Einzelne sich drin sieht und sein eigenes Handeln wiedererkennt. Denn wenn es total übertrieben oder irgendwie abstrahiert ist, ist es immer einfach zu sagen „Ja, aber ich flieg ja nicht jeden Tag.“ 
Aber wirklich zu sagen: „Ja, es geht um deine eine Urlaubsreise im Jahr, einen Hin- und einen Rückflug.“ Darum geht´s. 

Du nutzt gerne großflächige Grafiken mit viele Einzelkomponenten. Wie stellst du sicher, dass es dennoch übersichtlich und erfassbar für den Nutzer ist?

Das ist eine spezielle Form von Grafiken, die „Graphic Recording“ heißt. Das ist eine Möglichkeit, gesprochene Inhalte bei Veranstaltungen großformatig in Wort und Bild festzuhalten. Bei der Funktionalität und Übersichtlichkeit der Grafik spielt die Nutzung eine große Rolle. Also, wenn ich zum Beispiel bei einer Veranstaltung zeichne und da sind Stuhlreihen aufgestellt, dann sollte es Elemente auf der Grafik geben, die so groß sind, dass man sie auch von der letzten Stuhlreihe noch erkennen kann. Daran kann man von weitem schon das Tham der Grafik ablesen. Es ist natürlich nicht möglich, dass man von hinten alles erkennt, dafür müsste das Format noch viel größer sein. Das ist aber auch eine andere Betrachtungsebene. Es geht eher darum, dass man auf den ersten Blick auch von hinten erkennen kann, dass dort ein Bild zu diesem Thema entsteht. Und die genauere Betrachtung passiert dann meistens, wenn die Menschen in den Pausen oder nach der Veranstaltung mit einem Betrachtungsabstand von einem Meter vor dem Bild stehen und sich dann die Details anschauen und darüber ins Gespräch kommen. Dafür ist es natürlich schön, wenn das Bild auch groß ist, denn dann kann man tatsächlich auch mit einer Gruppe davorstehen. Im Gegensatz zu einem DIN A4 Ausdruck.

Ließe sich das auch in die sozialen Medien übertragen? Wenn ich auf Facebook z.B. ein Vorschaubild habe, dass diesem „Im-Raum-Konzept“ entspricht. Das heißt, man sieht kurz das Thema, man sieht, um was es geht, und erst beim Draufklicken auf das Bild ist man dann vielleicht auf der Webseite, wo die Gesamtgrafik und der gesamte komplexe Zusammenhang deutlich wird, zum Beispiel als PDF zum Runterladen. Ist das eine Herangehensweise, die Du sehen könntest?

Das ist natürlich eine Möglichkeit, dass man quasi das „Graphic Recording“ als Gesamtbild postet. Der Betrachter sieht „Aha da ist das Bild“ und geht dann auf die Webseite oder macht das Bild irgendwie größer auf. Allerdings haben wir da einen ganz anderen Nutzungszusammenhang. Wenn jemand auf der Veranstaltung ist, dann steht er schon in einer Beziehung zu diesem Bild, weil er im gleichen Raum ist und weil er beobachtet, wie das Bild entsteht. Die Wahrscheinlichkeit, dass er dann auch mal hingeht und schaut, was dort gerade passiert, ist viel größer. Wenn ich nur ein Bild mit dem Thema auf Facebook habe, zieht das wahrscheinlich nicht so stark. Von daher würde ich auf Facebook oder Instagram, die eigentlich mit recht kleinen Bildern arbeiten, immer dazu raten, einzelne Bildelemente herauszunehmen und die zu vergrößern. Sie funktionieren als Aufhänger und wer dann noch mehr wissen möchte, kann sich das ganze Bild anschauen.

Welche anderen grafischen Darstellungen nutzt du noch?

Neben dem Graphic Recording gibt es da für mich vor allem die Erklär-Grafiken. Das ist für Kunden nicht immer so leicht zu verstehen, was jetzt der Unterschied ist. Der Unterschied ist ganz einfach, ein „Graphic Recording“ entsteht immer live. Während eine Erklär-Grafik vom Stil vielleicht so ähnlich aussieht, aber ganz anders entsteht. Die wird anhand von einem Briefing gemeinsam erarbeitet. Auch bei solchen Grafiken gibt es die Möglichkeit, dass es eine große Grafik gibt, ein Erklär-Bild, und dann eben kleine Einzelelemente, die z.B. auf Facebook, als Diashow durchlaufen können. 

Wie würdest Du Erklär-Grafiken für Instagram aufbereiten?

Gute Frage. Ich finde, auf Instagram kann man sehr schön mit Karussel-Posts arbeiten, das sind diese Posts mit mehreren Bildern machen, die durchgewischt werden. Das gibt ein bisschen Struktur, sodass ich wie in einem Comic Panel für Panel arbeiten kann. Da kann man maximal 10 Bilder machen, was ich von der Aufnahme her schon relativ viel finde. Aber auf jeden Fall habe ich da die Möglichkeit, mehrere kleine Häppchen hintereinander zu schalten.

Man kann auch „swipeable“ Posts auf Instagram machen: ein sehr breites Bild, was ich nahtlos durchwischen kann. Das ist auch eine schöne Sache für Erklär-Grafiken. Man hatte ja mal eine Zeit lang diese scroll-baren Infografiken, auf Webseiten, die einfach von oben nach unten runtergescrollt werden. Auf Instagram kann man sich stattdessen von links nach rechts durch eine breise Erklär-Grafik durchwischen. 
Wie würdest du das für Facebook umsetzen?
Facebook bietet natürlich den großen Vorteil, dass ich Links habe, dafür ist Instagram einfach nicht gemacht. Bei Facebook wäre es viel einfacher, irgendeinen Catcher zu nehmen und dann die Nutzer mit einem Link zu dem gesamten Bild oder auch einem Blogpost weiterzuleiten. Denn es muss ja auch nicht immer nur beim Bild bleiben.

Wenn Du so überlegst welche Zielgruppen sprichst du insgesamt am meisten an? Das hängt natürlich wahrscheinlich viel mit den Auftraggebern zusammen. Aber wo ist da die größte Nachfrage für Grafiken?

(überlegt) Das ist ein Thema, was mich auch beschäftigt. (lacht) Das ist gar nicht so einfach. Ich arbeite mit denen, die wirklich aktiv auf eine bessere Zukunft hinarbeiten. Das Schöne ist, ich muss selten Jobanfragen absagen, weil sie wertemäßig nicht passen. Denn die Leute, die wertemäßig nicht passen, fragen mich schon gar nicht an. 

Aber man kann vielleicht schon sagen, dass es im Endeffekt oft Einzelne in Organisationen sind, die einfach den Mut haben mich anzufragen, vielleicht weil sie eine Affinität für Illustration haben oder mit mir in Kontakt gekommen sind. Die denken sich „Mensch, das wäre doch was! So etwas haben wir zwar noch nie gemacht, aber wir sollten jetzt damit beginnen.“ Das habe ich tatsächlich öfter, dass Einzelne sich in ihrer Organisation engagieren, mich als Illustratorin reinholen und dafür oft super Resonanz bekommen. Aber ich habe das Gefühl, dass es in der Nachhaltigkeitskommunikation noch nicht der Standard ist, dass mit Illustratoren und Graphic Recordern zusammengearbeitet wird. (lacht) Also es ist natürlich merkwürdig, wenn man sowas hauptberuflich macht und dann begegnet man wirklich oft Leuten, die begeistert sagen, „Woah, ich wusste gar nicht, dass es das gibt!“ Das ist dann schön.  

Ich muss irgendwie immer wieder darüber schmunzeln, wie langsam sich so etwas rumspricht. Aber ich kann eigentlich gar nicht so richtig sagen, dass meine Zielgruppe genau so und so aussieht. Außer eben über dieses Kriterium, dass da Leute sind, die den Willen, den Mut und das Interesse haben, auch mal ein neues Medium auszuprobieren.

Und mit welcher Zielgruppe wollen diese mutigen Kunden dann in Kontakt kommen? Vor allem mit jungen Menschen? 

Nee, das ist zum Glück nicht so. Also ich finde, das ist ein schlimmes Vorurteil, dass Illustrationen etwas für Kinder sind. Das liegt daran, weil die meisten Leute mit Illustrationen Kinderbücher verbinden. Und Kinderbücher sind toll, aber ich finde es wird der Illustrationen nicht gerecht, wenn man es darauf reduziert. Das ist aber etwas, womit ich tatsächlich nicht so viel zu tun habe. Also, wenn ich jetzt mal so ganz anonym die letzten Projekte durchgehe, gab es einen Förderantrag, bei dem im Grunde genommen die Förder-Jury angesprochen wird. Ich habe was für eine Politikerin gemacht. Da wird die gesamte wählende Bevölkerung angesprochen, wobei das in dem Fall auch eine auf eine junge Zielgruppe abzielt. Bei den Veranstaltungen ist es meistens ein breites Publikum. Graphic Recording spricht nicht nur junge Leute an. Das geht auch wieder zurück auf das, was ich ganz am Anfang zu der Zielgruppe gesagt habe. Ich frage das im Breifinggespräch natürlich ab – an wen richtet sich das Bild? Ich habe ein Spektrum wie lustig oder wie niedlich ein Bild gestalten kann. Mein Stil ist sowieso eher nicht so niedlich. Aber trotzdem kann ich zum Beispiel Tiere, die sprechen oder Gesichter haben, in gewissen Kontexten nicht verwenden. In anderen Kontexten, kommt das supergut. Aber wenn ich jetzt einen Business Kontext habe, dann lässt man sowas weg, weil es auf einer professionellen Ebene sein soll. Aber da gibt es ein ganz breites Spektrum.

Wenn Du jetzt mal überlegst, welche Illustration, die Du in den letzten Monaten gemacht hast war die erfolgreichste? Und wie definierst Du, wann eine Grafik erfolgreich ist? 

Gestern hat George Marshall https://k3-klimakongress.org/videos-k3-2019/ kurz über das Thema „Climate Visuals“ gesprochen. Das ist ein Projekt, was ich schon lange ein bisschen neidvoll verfolge. Weil es da tatsächlich mal eine wissenschaftliche Untersuchung gibt, welche Fotos denn gut wirken. Sowas hatte ich bisher nicht für Illustrationen. Ich habe ihn gestern gefragt und er weiß tatsächlich auch nicht von irgendwelchen Studien zu dem Thema. Da habe ich mir gedacht habe, das müsste man doch mal machen! (lacht) Das fände ich wirklich interessant. Im Endeffekt ist es für mich sehr schwierig zu sagen, welches Bild jetzt exakt welche Wirkung gehabt hat. Alleine deshalb schon, weil ich in den meisten Fällen gar nicht mit den Rezipienten des Bildes interagiere. Sondern ich mache das Bild, es wird veröffentlicht und irgendjemand konsumiert es dann, meistens online. Klar, man kann manchmal sehen, wie viele Likes ein Bild bekommt, aber was das jetzt an der Weltanschauung oder Handlung der Rezipienten verändert hat, das kann ich natürlich nicht ablesen. Es gibt zwei Anekdoten, die ich in der letzten Zeit recht eindrücklich fand. Ich habe in den letzten Wochen ein Soziodrama begleitet. Das ist ein Format, das mein Kollege Jörg Jelden anbietet. (https://komfortzonen.de/soziodrama-vs-workshop/) Und zwar ist das eine Form des szenischen Spiels, mit dem eine Gruppe Themen erarbeitet, die für die sie relevant sind. Man kann sich das ein bisschen so ähnlich vorstellen wie beim Impro-Theater. In dem Fall ging es um das Thema „Organisationen in der Klimakatastrophe“. Ich habe das ganze mit „Generative Scribing“ (https://komfortzonen.de/transformationsprozesse-visualisieren-generative-scribing/)  visuell begleitet und habe die Themen, die im Raum standen, festgehalten, die Dynamik der Gruppe, Schwierigkeiten unddie Atmosphäre im Raum. Dann standen wir am Ende vor dem Bild und die Teilnehmenden haben sich über das Bild ausgetauscht. Anschließend haben wir den Recap zu dem Tag gemacht und ich habe gemerkt, dass sich viele in dem, was sie sagen, auf das Bild bezogen haben. Viele haben gesagt „Ja, man sieht ja hier das so und so, und ich erkenne mich hier total wieder in der und der Emotion“. Und das, obwohl so ein Bild eigentlich relativ abstrakt ist, weil man natürlich gerade bei so einem Format nicht so sehr ins Detail geht, sondern es geht eher um die groben Strömungen. Es war zwar nur eine kleine Gruppe und man kann jetzt nicht von einer Riesenwirkung sprechen. Aber wenn die Gruppe sich in dem Bild sieht, merke ich, das Bild hat eine Funktion und das Bild ist hilfreich. Das ist für mich ein Erfolgserlebnis.
Und dann vielleicht noch die andere Anekdote:
Ich habe letztes Jahr eine E-Mail Challenge gemacht. Da konnten sich Menschen melden, die dann jeden zweiten Tag in der Fastenzeit eine E-Mail zum Thema Müllvermeidung von mir bekommen haben. Die Mails waren illustriert und es war jeweils ein Text dabei. Und einer der erfolgreichsten Posts zeigte eine Klopapierrolle, und da stand dran: „Let´s break the last taboo.“  Da ging es um Poduschen! Das ist jetzt auch in der Zero-Waste Szene eher eine neue Sache. Ich habe so etwas noch nicht. Aber ich habe da eigentlich nur geschrieben, dass es so etwas gibt und dass es auch Leute gibt, die so etwas benutzen. Man kann auch mal darüber nachdenken, da noch Müll zu vermeiden. Warum muss es so sein, wie es immer war? Und ich habe schon vorher überlegt „Puh, das ist ein ganz schön krasses Thema, kann man sowas überhaupt schreiben?“  Ich habe die Mail rausgeschickt und bekam dann von einer Teilnehmerin eine E-Mail, wo einfach nur drinstand: „Du wirst es nicht glauben, aber ich habe mir jetzt eine Podusche bestellt.“ (lacht) Ich dachte einfach so, wow, ich meine, das ist eine Person, ja. Aber wenn eine Person so weit gegangen ist, das tatsächlich umzusetzen, was haben sich die vielen anderen Leute gedacht, die es auf Instagram gesehen oder geliked haben? Da hoffe ich, dass sich einfach im Kopf die Möglichkeitsspielräume ein bisschen erweitern. Das war jetzt aber in dem Sinne gar keine Erklär-Grafik, also da wurde nichts erklärt. (lacht) Die einzige Info war: Es gibt Poduschen. Aber manchmal braucht man so einen kleinen Stupser.

Wenn Du überlegst, was für Themen Du gerade im Bereich Umwelt, Nachhaltigkeit und Klima zeichnest, gibt es da welche, die sich besonders einfach darstellen lassen und welche, wo Du sagst das ist jetzt schwieriger rüberzubringen?

Am einfachsten ist immer das, was konkret ist.
Das heißt, am schwierigsten sind Buzzwords. Das ist der Albtraum beim „Graphic Recording“, wenn man Sprecher hat, die leer sprechen und nur Phrasen von sich geben. Da muss ich dann interpretieren, was er damit meint. Ein Begriff kann sehr schwammig sein. Aber der Vorteil der Grafik ist, sie wird immer konkret. Ich gebe auch Workshops für „Visual Thinking“, das habe ich auch hier beim K3 k3-klimakongress.org gemacht. In den längeren Workshops entwickeln wir gemeinsam Metaphern. Da bringen die Teilnehmer selber Begriffe mit. Ich frage dann ganz oft: „Was bedeutet das denn für dich?“ Zum Beispiel, wenn jemand „Deadline“ sagt, also Abgabeschluss auf Deutsch, kann ich das ganz unterschiedlich konnotieren. Geht es darum, dass das etwas ist, was Stress auslöst? Oder geht es um Verbindlichkeit, dass sich alle an Termine halten? Je nachdem, wie etwas gemeint ist, stellt man es anders dar und findet ein anderes Bild dafür. Im Endeffekt geht es immer darum, das Gefühl wiederzugeben, was mit diesem Begriff verknüpft ist. Von daher ist es für mich am einfachsten, wenn es ganz konkret und verständlich ist. Anekdotische Sachen sind unheimlich gut, also wenn die Leute wirklich selber schildern, was passiert ist. Die Ergebnisse gestern waren auch sehr schön. Da haben die Teilnehmer des Workshops als letzte Übung im Kurs Klimafolgen gezeichnet. Man sieht genau was sie meinen, denn sie werden ganz konkret. Also das hat dort und dort stattgefunden, das und das ist passiert, das hat die Person gedacht, so hat sie sich gefühlt. Das sind Sachen, die man wunderbar darstellen kann und die gut verständlich und nahbar sind.

Also Konzepte sind dann schwieriger darzustellen und rüberzubringen.

Ja, Dinge, die noch unkonkret sind, sind eher schwierig. 

Du bist ja auch selbst auf sozialen Medien aktiv und teilst da sowohl deine Werke, als auch die Botschaft, die dahintersteckt. Hast du da schon mal Gegenreaktionen bekommen? Und wenn ja, wie bist du damit umgegangen?

Spontan würde ich sagen nein. Da habe ich wahrscheinlich Glück gehabt. Wobei ich tatsächlich sagen muss, dass ich sehr mit Bedacht auswähle, was ich poste. Ich bin bisher immer die Schiene gefahren, dass ich eigentlich mehr darüber rede, was ich mache und aus welchen Grund. Ich mache selten Messages wie „tu dieses, lass jenes, mach, nie wieder das und das!“. Denn ich glaube, dass das nicht so effektiv ist. 

Wobei ich gerade in der letzten Zeit öfter denke, dass vielleicht jetzt irgendwann der Punkt kommt, um mal ein bisschen Tacheles zu reden. 
Die Leute wissen ja, dass ich in dem Bereich unterwegs bin und gewisse Themen werden dann ausgespart. Aber ich weiß, dass ganz viele Leute in meinem Freundeskreis noch fliegen. Dann frage ich mich das manchmal, ob denen das eigentlich klar ist, dass sie mitgemeint sind, wenn ich sage, dass ich Fliegen in den allermeisten Fällen wirklich total unnötig finde. Vielleicht muss man da doch noch deutlicher werden. 

Musstest du schon mal nach einem Briefing eingreifen, weil du gedacht hast, die Fakten, die mir da präsentiert wurden, sind jetzt vielleicht nicht mehr die neusten. Oder es ist faktisch tatsächlich nicht so ganz korrekt oder nicht deinem Empfinden für Nachhaltigkeit entsprechend und so weiter. Hast du Kunden, die da sowieso Vorreiter sind?

Also ich kann mich tatsächlich nicht daran erinnern, dass sowas passiert ist. Ehrlich gesagt, ich habe zwar Fachwissen und einen Abschluss im Umwelt- und Bioressourcenmanagement, aber normalerweise gehe ich davon aus, dass meine Kunden Experten für ihr Gebiet sind. Das ist für mich auch eine Frage des Respekts. Aber falls mir jemand etwas erzählt und ich weiß, dass es nicht stimmt, wäre es natürlich eine schwierige Situation. 

Auf dem K3-Kongress gestern und heute wurde immer wieder über Emotionen gesprochen. Soll man Leute darüber kriegen oder nicht? Was meinst du aus deiner Praxis? Welche Emotionen sollte man ansprechen? Manche sagen, man sollte Wut auslösen, damit was getan, weitergetrieben oder aktiviert wird. Die anderen sagen, man muss eigentlich mit positiverem Bild rangehen und Freude vermitteln. Was machst du in deinen Zeichnungen, wenn es um Emotionen geht?

Einerseits ist Freude ein ganz großer Punkt in meiner Arbeit. Ich versuche immer, die Freude am nachhaltigen Tun rüberzubringen und zu zeigen, dass es nie ein Verzicht ist.
Es ist natürlich ein Verzicht, aber nicht, weil ich denke, dass ich verzichten muss, sondern weil ich das freiwillig tue und den Mehrwert in dem sehe, was ich dann mache. Wie eben Harald Welzer (s.o.) so schön sagte, man kann sich auch ganz unabhängig vom Klimawandel über eine autofreie Stadt freuen. Aber ich glaube, ich muss gar nicht vorgeben, welche Emotion jemand fühlen muss. Das hat George Marshall (s.o.) gestern sehr schön gesagt. Wenn ich über die Dinge gehe, die den Leuten etwas bedeuten, sei es zum Beispiel Natur, Heimat oder Besitz, dann wird sie das irgendwie berühren. Ob das den Einzelnen dann traurig oder wütend macht oder ihn vielleicht positiv stimmt, weil er sieht was er konkret machen kann, das kann und darf ich dem anderen Menschen nur selber überlassen. Ich finde es da eher wichtig, auch manchmal die Message rüberzubringen: „Es ist okay, wenn du auch wütend bist und es ist auch okay, wenn du traurig bist, denn das ist eine sehr angemessene Reaktion.“


Werden Deine Grafiken auch schon mal von Bloggern, Journalisten und so weiter aufgegriffen und dann in deren Sphären irgendwie weitergetragen? 

(lacht)Bisher leider noch nicht. Es wäre schön, wenn das noch mehr passieren würde. Darüber würde ich mich freuen. 

Dann erübrigt sich ja die Frage, wie man das anstellen kann, weil das natürlich auch für uns oder für die gesamte Nachhaltigkeitsszene immer eine spannende Geschichte ist. 

Es gibt eine Aktion, die Kollegen von mir gestartet haben. Es hat sich kürzlich eine Gruppe von Visualisierern gegründet, die aktiv gesagt haben, sie wollen gerne das Thema Klimawandel und Klimahandeln, also „climate action“ auch mit unserer Expertise unterstützen. Die haben jetzt vor den Demos einfach eine Dropbox zur Verfügung gestellt, wo es Motive zum Herunterladen gab. Da war auch etwas von mir dabei. Das ist tatsächlich etwas, was dann viel geteilt wurde. Teilweise hat man auch die Schilder auf Demos gesehen. Das ist natürlich fein, wenn man sieht, dass es auch genutzt wird. Aber um Grafiken in die richtigen Kanäle zu kriegen, hätte ich auch gerne Tipps.

Du verwendest ab und an Texte als Überschrift, Sprechblasen und so weiter. Wie entscheidest du, wie viel Text notwendig ist? Wie viel Text zu viel ist?

Auch da ist es wieder so: Je abstrakter etwas ist, desto mehr Text brauchen wir, damit es verstanden wird. Es ist auch immer eine Frage, wer die Zielgruppe ist. Wenn ich etwas recorde, was hauptsächlich für die Leute ist, die dabei waren, brauchen die nur eine Gedankenstütze. Wenn es auch außerhalb der Veranstaltung verständlich sein muss, dann braucht es meistens mehr Erklärungen und mehr Kontext. Ich schreibe ja alles von Hand. (lacht) Dem Text sind da Grenzen gesetzt, weil es zu viel Platz braucht und zu lange dauert. Das begrenzt sich dann automatisch. 

Das ist wahrscheinlich auch ganz gut, weil zu viel, würde ich spontan sagen, überlagert dann doch die Grafik.

Genau, denn am Ende soll es ja immer noch eine Grafik mit ein bisschen Texte sein und nicht ein Text mit ein paar Bildern.

Ein anderes Thema ist Framing. Es wird viel über Framing im Text geredet. Also welche Worte werden benutzt und wie werden sie benutzt und so weiter? Grafiken haben natürlich per se schon ihr eigenes Framing, Aber denkst du auch darüber nach, wie eine bestimmte Darstellung sozusagen als Framing für eine Diskussion genutzt werden kann?

Was genau meinst du mit Framing? Weil den kann man ja auch unterschiedlich benutzen den Begriff.

Ich nenne mal das Beispiel Klimawandel gegenüber Erderhitzung. Das sind ja verschiedene Referenzrahmen, die anderes Denken anregen.

Ja, auf jeden Fall denke ich das mit. Ich kann zum Beispiel ein total dramatisches Bild zum Thema Klimakrise zeichnen oder ich kann eher etwas nüchtern-technisches machen, wo es eher um die Fakten geht. Da ist auch immer die Frage, wen ich anspreche und was ich damit erreichen will. Schrecke ich mit einem zu negativen Bild vielleicht ab? Das kommt dann wieder sehr auf die Zielgruppe und die Nutzungsabsicht an. Bei „Climate Visuals“ und generell in der Klimakommunikation wird immer gesagt, dass man schon ein bisschen Druck machen und negativ sein darf. Aber dann sollen auch positive Handlungsmöglichkeiten sichtbar sein. Da ist natürlich die Frage, ob diese Grafik komplett alleine steht. Dann ist es wahrscheinlich nicht schlau, ein totales Katastrophenszenario abzubilden. Oder steht daneben noch eine andere Grafik mit Handlungsmöglichkeiten oder gibt es da einen Text mit Handlungsmöglichkeiten? Das ist immer die Frage wie es eingebettet ist.

Weißt du in einem Projekt schon, ob die Grafik dann am Schluss alleine stehen wird oder wird von vornherein im Briefing schon gesagt „Okay, wir haben hier eine Grafik, da kommt noch drei Seiten Text dazu“, und du kannst es dementsprechend anpassen oder geht das gar nicht so in die Tiefe?

Normalerweise weiß man vorher schon ungefähr, ob es zum Beispiel in eine Publikation kommt, wo ansonsten Text drin ist oder ob es der Header auf einer Webseite wird. Also man hat schon immer eine ungefähre Vorstellung, wie es nachher eingebettet wird.
Manchmal entstehen auch im Projekt noch neue Ideen, was man sonst noch alles mit der Grafik machen kann.

Ist die dann noch so effektiv? Wenn man sagt, wir haben die jetzt als Headerbild von der Seite konzipiert, wollen damit jetzt aber auch noch bei Instagram und so weiter publizieren. Glaubst du, die ist dann noch so wirksam in den anderen Formen, wenn sie nicht nochmal von dir angefasst umgearbeitet wird vorher?

Das geht wieder auf diese Format- und Inhaltfrage zurück. Meistens kann man es nicht einfach eins-zu-eins nehmen. Zum Beispiel kann man ein Header-Bild nicht einfach auf Facebook hochladen. Nicht nur wegen spezifischer Pixel-Maße, sondern einfach, weil die Konsumform oder die Nutzungsform eine andere ist. Das ist auch tatsächlich ein Fehler, den viele machen. Die haben einfach einen Satz Bilder und den laden die einmal überall hoch. Der geschulte Social Media Nutzer sieht sofort: Das ist nicht stimmig, das ist nicht hierfür gemacht. Das ist einfach nur zweitverwertet. Die Mühe sollte man sich schon machen, das irgendwie anzupassen, sodass es technisch und von der Art der Nutzung dazu passt. 

Also auch am Anfang die Mehrfach-Verwertung mitdenken und mitkonzipieren.

Teilweise sind das ja technische Fragen. Ich denke zum Beispiel gerade an einen Spendenaufruf. Den haben wir ursprünglich für das Magazin von den erdgesprächen (http://erdgespraeche.net)  konzipiert, eine große Klimaveranstaltung in Österreich. Dadurch war das quadratische Format vorgegeben. Es war aber von Anfang an mitgedacht, dass der Aufruf auch als Banner auf der Veranstaltung hängen soll. Dann muss ich das natürlich so anlegen, dass ich das von der Auflösung machen kann. Anschließend haben wir entschieden, den Spendenaufruf auch über Instagram und Facebook zu nutzen, dafür habe ich dann wieder Einzelteile raus genommen. Das heißt, man muss es von vornherein mitdenken, wie man das nachher durchkonjugieren kann. 

Und man sollte nicht nach drei, vier Jahren sagen: „Ach die Grafik haben wir ja noch, die können wir für das, das, das auch noch für Nutzen. Wir sind jetzt auf Twitter und wir verwurschteln alles, was wir schon hatten, noch einmal dort.“

Es heißt ja nicht, dass man dann immer etwas komplett Neues machen muss. Meistens sind es wirklich kleine Anpassungen. Aber es ist gut, wenn man sich schon bevor der erste Strich gemacht wird, überlegt was man damit will und was man vielleicht noch damit machen könnte. Dann kann man es dafür anlegen und es dementsprechend ausführen.

Noch eine Abschlussfrage, weil wir bei OroVerde auch viele Schulbildungsprojekt durchführen. Hast du schon mal für Schule-Materialien gezeichnet?

Da muss ich kurz überlegen. Ich glaube nicht. 

Aus deinen Erfahrungen heraus, würdest du sagen, dass Schüler*innen eine Zielgruppe sind wie jede andere auch?

Im Grunde genommen natürlich schon. Also ich denke, bei einer Schulgruppe muss man gucken, was deren Lebensrealitäten sind und wie man daran kommt, sodass sie sich darin irgendwie wiederfinden. Aber vor allem, weil ich zu der Zielgruppe noch nichts gemacht habe, wäre es jetzt vermessen zu sagen, ja man muss das so und so machen, weil ich bin offensichtlich nicht die Expertin dafür (Lacht).

Also dass man die Lebensrealitäten, da nochmal bedenken muss, ist ein wichtiger Hinweis.

Ein Fehler wäre das was man schon hat, zu nehmen und einfach weiter zu schieben. Ich glaube das funktioniert nicht so gut. Ich würde glaube ich die Schüler*innen selber zeichnen lassen. Denn der große Vorteil ist, dass die noch nicht so weit weg sind vom Zeichnen. Die meisten hören ja leider in der frühen Pubertät auf zu zeichnen. Bis sie erwachsen sind zeichnen sie nicht und sitzen dann irgendwann bei mir im Kurs und haben unheimliche Hemmungen. Das ist wirklich so. Ich finde es unheimlich traurig, was da für Komplexe hochkommen, wenn man den Leuten einen Stift in die Hand gibt. Im Grunde genommen hat man da Kinder sitzen, denen gesagt wurde: „Du kannst es nicht, lass es sein!“ Obwohl es dann zwar viele Jahre später ist, ist da im Grunde genommen immer noch der Schmerz. Das ist so schade, weil das Zeichnen einfach eine Sprache wie jede andere ist. Da kann man auch klein anfangen. Und um zu den Jugendlichen zurückzukommen, da ist es noch nicht so lange her, dass sie mit dem Zeichnen aufgehört haben, da kommt man noch einfacher ran.
 

Vielen Dank, Marie Pascale!

Das Interview wurde während des K3-Kongresses am 25.9.2019 in Karlsruhe geführt. Der nächste K3-Kongress findet 2021 in der Schweiz statt.
 

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Das BNE-Projekt "Keine Angst vor Komplexität" wurde durch die Deutsche Bundestiftung Umwelt und die Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen gefördert.

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Birthe Hesebeck
Bereichsleiterin
Öffentlichkeitsarbeit Bildung für nachhaltige Entwicklung
0228-24 290 14
bhesebeck[at]oroverde[dot]de

Fotonachweis: PxHere.com / CC0

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