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Schon seit über zwanzig Jahren verhandeln die Europäischen Union und der südamerikanischen Staatenbund Mercosur über ein mögliches Freihandelsabkommen miteinander. Eine Grundsatzeinigung zwischen beiden Parteien wurde 2019 erreicht. Neben den wirtschaftlichen Auswirkungen rücken seitdem vor allem soziale und ökologische Themen in den Vordergrund der Diskussion. Was genau würde das Abkommen bewirken? Und wie steht es momentan um das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen? 

Was ist der Mercosur?

Der Mercosur (Portugiesisch: Mercosul) – kurz für Mercado Común del Sur (Gemeinsamer südamerikanischer Markt) – ist ein südamerikanischer Staatenbund, der sich aus Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay zusammensetzt. Venezuela ist ebenfalls ein volles Mitglied der Wirtschaftsgemeinschaft, wurde jedoch 2016 aufgrund von Verletzungen der Mitgliedsbedingungen von den übrigen Mitgliedstaaten suspendiert. Seit Ende 2023 befindet sich Bolivien im Beitrittsverfahren. Assoziierte, aber keine Mitgliedstaaten sind Chile, Peru, Kolumbien, Ecuador, Guyana, Suriname und derzeit noch Bolivien.

Mit Bolivien und Venezuela erstreckt sich das Gebiet der Mercosur-Mitgliedsstaaten über ganze 14.869.775 Quadratkilometer. In dieses Gebiet würde die EU mit ihrer Fläche von knapp über 4 Millionen Quadratkilometern etwa dreieinhalb Mal hineinpassen. Obwohl die EU flächenmäßig so viel kleiner ist als der Mercosur, wohnen hier mit 448 Millionen Menschen etwa anderthalb Mal so viele Personen wie in den Mercosur-Staaten. Dort leben zusammengerechnet etwa 295 Millionen Menschen.

Gegründet wurde der Mercosur 1991 mit dem Vertrag von Asunción, 1995 trat die Wirtschaftsgemeinschaft dann in Kraft. Der Zusammenschluss soll die Entwicklung des südamerikanischen Kontinents durch politische, soziale und wirtschaftliche Zusammenarbeit fördern. Konkrete Ziele bei der Gründung des Mercosur waren zum Beispiel der Abbau von Zöllen untereinander, die Schaffung einer Zollunion und der Aufbau eines gemeinsamen Außenzollsystems sowie die Handelsliberalisierung mit Drittstaaten und die Koordinierung der Wirtschaftspolitik. 

Was ist das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen und was würde es bewirken?

Die EU und die Mercosur-Staaten sind wichtige Handelspartner. Schon seit 2000 versuchen daher beide Seiten, ein Abkommen abzuschließen, das den Handel miteinander begünstigt. Nach mehr als 20 Jahren politischer Verhandlungen zwischen dem Mercosur und der EU wurde 2019 eine Grundsatzeinigung erreicht. Mit dem Abkommen würde eine der weltweit größten Freihandelszonen geschaffen werden. Freihandelszonen sind Gebiete, in denen es kein Einfuhrzölle oder Hindernisse für den Handel und den Transport von Waren gibt. Insbesondere umfasst das Handelsabkommen die Einfuhr von südamerikanischen Agrarprodukten wie Futtersoja und Rindfleisch sowie mineralische Rohstoffe, aber auch Fahrzeugteile in die EU und umgekehrt den Vertrieb von in der EU-produzierten Maschinen, Autos, pharmazeutischen und chemischen Produkten wie zum Beispiel Pestiziden in Mercosur-Staaten

Umstrittenes Abkommen zwischen MERCOSUR und EU – Was spricht dafür, was dagegen?

Befürworter*innen gehen davon aus, dass das Abkommen nicht nur den bestehenden Handel zwischen der EU und den Mercosur-Staaten erleichtern, sondern auch neuen Handel generieren würde. Gerade für die Mercosur-Staaten könnte diese Veränderung im internationalen Handel eine wirtschaftliche Chance darstellen. Außerdem würde das Freihandelsabkommen für beide Parteien eine größere Unabhängigkeit von anderen Märkten, wie etwa dem chinesischen, bedeuten. 

Mangelnder Klima- und Umweltschutz

Doch das Abkommen ist stark umstritten: Grund für Kritik ist zum einen der mangelnde Umwelt- und Klimaschutz. Die Produktion von Agrarprodukten wie Rindfleisch, Soja und Zucker in den Mercosur-Staaten würde durch eine erleichterte Einfuhr der Waren nach Europa intensiviert werden – mit fatalen Folgen für ohnehin bereits bedrohte Ökosysteme und das Klima. Denn die industrielle Landwirtschaft ist bereits ohne das Mercosur-Abkommen der größte Entwaldungstreiber weltweit. Eine Ausweitung der bereits bestehenden umwelt- und klimaschädlichen Produktionsmodelle würde aus diesem Grunde die Zerstörung von artenreichen Ökosystemen wie dem Amazonas-Regenwald, der Feuchtsavanne Cerrado und dem Gran Chaco weiter vorantreiben.

Da das Freihandelsabkommen auch den erleichterten Handel mit mineralischen Rohstoffen vorsieht, ist anzunehmen, dass die Förderung von fossilen Brennstoffen und seltene Erden ebenfalls angekurbelt würde. Dies würde wiederum mit einer Erschließung noch unberührter Ökosysteme, vermehrter Entwaldung und zusätzlichen Mengen an Treibhausgasemissionen einhergehen, welche die Erderwärmung befeuern. Auch die neokolonialistische Haltung der EU gegenüber den südamerikanischen Mitgliedsstaaten würde durch dieses extraktivistische Verhalten zementiert werden.

Ebenso könnte der Handel mit in der EU hergestellten Pestiziden und anderen chemischen Substanzen verheerende ökologische und gesundheitliche Konsequenzen für die Bevölkerung haben. Einige Pestizide, die an Mercosur-Staaten verkauft werden, sind aufgrund ihrer toxischen Wirkung auf Umwelt und Gesundheit in der EU nicht zugelassen.

Menschenrechtsverletzungen und die Benachteiligung von Frauen

Auch aus humanitärer Perspektive wird das Abkommen immer wieder stark kritisiert. In den Verhandlungsprozessen sind die ohnehin marginalisierten Gruppen, die am stärksten von den Auswirkungen des Abkommens betroffen wären, nicht ausreichend involviert. Intensivierte Agrarwirtschaft und Minenarbeiten führen zu Landschaftseingriffen ohne vorherige Zustimmung von indigenen Gruppen und sogar zur Vertreibung von indigenen Völkern und traditionellen Gemeinden. Entlang der bereits bestehenden Produktions- und Lieferketten in Mercosur-Ländern kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen, unter anderem sogar zu Kinderarbeit. Abzusehen ist außerdem, dass das Abkommen sowohl auf südamerikanischer als auch auf europäischer Seite zum Verschwinden von kleinbäuerlichen und Familienbetrieben und somit zum Verlust von Lebensgrundlagen führen könnte.  

Besonders für Frauen in den Mercosur-Staaten wäre das Abkommen in seiner jetzigen Form benachteiligend: Durch reduzierte Zolleinnahmen könnte es zu Verlusten von Arbeitsplätzen in Sektoren kommen, in denen vorwiegend Frauen beschäftigt sind, so zum Beispiel im Textil- und Sozialsektor. Gerade von den Leistungen des Sozialsektors sind Frauen wiederum häufig abhängig.

Rechtswidrig: In seiner jetzigen Form verstößt das Abkommen gegen EU-Auflagen

Um die Gegenstimmen zum Handelsabkommen zu besänftigen, die insbesondere auf die Gefahren für die Wälder der Mercosur-Staaten hinweisen, wurde ein Zusatzdokument verfasst, das dem Abkommen hinzugefügt werden soll. Dieses sogenannte Waldschutzinstrument beinhaltet jedoch keine konkreten zusätzlichen Verbindlichkeiten, schützt bedrohte Ökosysteme wie Savannen und Feuchtgebiete nicht und bleibt auch hinsichtlich Sanktionen und Durchsetzung vage. Die Mercosur-Staaten lehnen zusätzliche Umweltauflagen außerdem entschieden ab.

Eine juristische Analyse des Handelsvertrags zeigt, dass das Freihandelsabkommen zwischen EU und Mercosur gleich gegen mehrere EU-Auflagen verstößt. Zum einen missachtet es die Ziele der nachhaltigen Entwicklung, wie sie im Vertrag über die Europäische Union festgelegt sind. Auch mit dem EU-Klimagesetz ist das Abkommen unvereinbar. Denn laut eigener Angaben der EU-Kommission würde das Freihandelsabkommen die globalen Treibhausgasemissionen nicht nur nicht verringern, sondern sogar ankurbeln.

Wie steht es aktuell um das Handelsabkommen?

Bisher konnte das EU-Mercosur-Abkommen nicht in Kraft gesetzt werden. 2019 wurde nach etwa 20 Jahren politischer Verhandlungen eine Grundsatzeinigung zwischen Mercosur und EU erreicht – dann wurde das Abkommen jedoch aufgrund des damals in Brasilien regierenden rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro auf Eis gelegt. Seit Luiz Inácio Lula da Silva, kurz Lula, Bolsonaro 2023 an der Macht ablöste, bemühen sich beide Seiten verstärkt darum, das Abkommen schnellstmöglich zum Abschluss zu bringen.  

Allerdings bleiben die Verhandlungen turbulent: Zum einen kritisiert insbesondere Frankreich den Deal wegen unzureichender Schutzmaßnahmen von Biodiversität und Klima. Und auch die Landwirt*innen in der EU protestieren gegen das Abkommen, da sie befürchten, dass heimische Produkte auf dem EU-Markt durch günstige Importe aus den Mercosur-Staaten mit niedrigeren Standards verdrängt werden. Darüber hinaus stellt der neue argentinische Präsident Javier Milei, der zu Beginn 2024 an die Macht kam, eine neue Unsicherheit in der Wirtschaftsgemeinde Mercosur dar. Der rechtsorientierte Milei leugnet die Klimakrise, greift mit seiner Politik Menschrechte und den Naturschutz in Argentinien an und hebelt dort die demokratischen Grundlagen, für die die EU steht, mit zunehmend autoritärer Macht aus. In seinen Ansichten ist Milei folglich nicht weniger gefährlich als der ehemalige brasilianische Präsident Bolsonaro.

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Ganz gleich, welche Zugangsdokumente dem Abkommen beigefügt werden: Der Kern des Abkommens bleibt überholt und vollkommen ungeeignet, um Klimaschutz und gerechten, nachhaltigen Welthandel miteinander zu vereinen. Aus diesem Grunde muss das EU-Mercosur-Abkommen neu verhandelt werden.

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Lioba Schwarzer, Referentin Politik und Advocacy

Freihandel umdenken: Wie könnte ein fairer Handel zwischen Mercosur und EU aussehen?

Handel kann auch positive Auswirkungen auf Mensch und Natur haben: Wichtig ist, dass wir unsere Handelskonzepte umdenken und nachhaltig und gerecht gestalten. Maßgeblich ist dabei der angekurbelte Handel von Waren, die nicht nur entwaldungsfrei hergestellt werden, sondern sogar zum Wiederaufbau von Wäldern beitragen. Ebenso müssen der Austausch von Forschungsinstitutionen mit Wirtschaftsakteuren gefördert werden, um eine nachhaltige Produktion nicht nur zu integrieren, sondern vorauszusetzen. Der Profit von großen Konzernen darf nicht weiter im Mittelpunkt stehen – stattdessen müssen kleinbäuerliche Strukturen mit Vorrang gefördert werden. Zu guter Letzt müssen in einem gerechten Handel außerdem derzeit benachteiligte Gruppen wie zum Beispiel indigene Völker, traditionelle Gemeinschaften und Frauen nicht nur in der Ausgestaltung von Handelsabkommen mitbestimmen dürfen; ihre Positionen in der Gesellschaft müssen allgemein gestärkt werden.

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Lioba Schwarzer
Referentin Politik + Advocacy
Internationale Projekte
Telefon: 0228-24290-59
lschwarzer[at]oroverde[dot]de

Fotonachweis: Pexels (Titelbild Containerhafen, Flaggen im Parlament), Mapscharts (Karten in den Infografiken), OroVerde - E. Bakker (Infografik zu Mercosur Staatenbund und Mercosur-EU-Freihandelsabkommen), Martin Harvey via Wildscreen Exchange (Umweltzerstörung durch Goldmine), pxhere (Frauenhände schälen Bohnen). 

Hier geht es zu den Quellen für diese Seite. 

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